Donnerstag, 13. November 2008

Mal was politisches...

Nun ist er also gewählt – Der sympathische Jungsenator aus Illinois, der in diesem Wahlkampf nicht nur in den USA, sondern global eine wahre “Obamania” ausgelöst hat. Die Welt liebt Obama – und besonders die Deutschen: Laut Reader’s Digest würden 85% Obama wählen, sofern sie könnten. In der jungen Generation steigt diese Zahl sogar auf über 90%. Doch warum zähle ich mich zu den wenigen Zweiflern, warum begegne ich Obama eher mit Skepsis statt mit Euphorie, warum kann ich dem fast schon sakral anmutenden Schlagwort "Change" so wenig abgewinnen?


Rein vom Standpunkt des Marketings hat Obamas Kampagne einen sehr guten und vor allem geschlossenen Job gemacht – Jeder assoziiert Obama mit seinem positive Schlagwort “Change”, wo doch in Washington momentan vieles gegen den Willen der Bevölkerung läuft. Viele wissen jedoch nicht, was sich eigentlich an direkter Programmatik hinter diesem Schlagwort verbirgt, und wie wirksam ein “Wechsel” in DC eigentlich herbeigeführt werden kann. Zum Beispiel will Obama den Lobbyismus in Washington einschränken – Wer jedoch dessen Funktionsweise in der Hauptstadt kennt, wird schnell feststellen müssen, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit ist. Erstens gehört Lobbyarbeit seit jeher zum festen Tagesgeschäft eines jeden Abgeordneten und dient im – für deutsche Verhältnisse unbekannten – positiven Sinne auch der Meinungsbildung in Angelegenheiten, die den eigenen Wahlbezirk betreffen. Andererseits sind bisherige Gesetzesvorstöße zur Bekämpfung des Lobbyismus fast schon tragisch-komischer Natur, da sie durch ihre Lückenhaftigkeit und Undurchdachtheit zum Running-Gag unter Lobbyisten geworden ist. Die bürokratischen Mühlen in Washington mahlen langsam - und auch wenn (wie ich aus eigener Erfahrung weiß) viele Beamte in den Ministerien ausgetauscht werden, so bleibt ein Großteil auf ihrem Stuhl kleben und grenzt fußfesselartig den Aktionsradius des neuen Präsidenten ein.

Auch in Sachen Außenpolitik, die für Europäer logischerweise eine hohe Relevanz besitzt, sieht der Change eher fragwürdig aus: Kann man einen Truppenabzug aus dem Irak wirklich langfristig auf dem Reißbrett planen, egal was inzwischen passiert? Soll an diesem Zeitplan festgehalten werden, auch wenn neue Entwicklungen eher eine Aufstockung des Truppenkontingents erfordern sollten? Nimmt man sich durch solch einen Zeitplan nicht selbst die Entscheidungsfreiheit über seine Strategie und ordnet die militärische Kompetenz einer statischen Zeittabelle unter? Und was passiert mit dem Irak danach, ist nach der militärischen auch die humanitäre Mission überhaupt abgeschlossen, oder hinterlässt man einen fruchtbaren Nährboden für die Terroristengeneration von morgen?

Auch Obamas Offenheit gegenüber Gesprächen mit dem iranischen Präsidenten Mahmut Ahmadinejad birgt Risiken: Ein politischer Führer, der offen die Auslöschung Israels propagiert, sollte nicht durch diplomatische Treffen belohnt werden. Diese stärken im Endeffekt Ahmadinejads Stellung in der Weltpolitik und verschaffen ihm und seinen wirren Thesen Rückhalt in der Bevölkerung. Entgegen der öffentlichen Meinung finden ständig diplomatische Gespräche mit dem Iran statt – aber eben im Bereich der Low-Level-Diplomatie, die von der Gegenseite nicht medienwirksam ausgeschlachtet werden kann.


Allerdings sehe auch ich als Anhnger McCains – trotz aller oben genannten Zweifel - einer Präsidentschaft Obamas teilweise positiv entgegen. Auch wenn ich vielen seiner Standpunkte nicht zustimmen kann, so überzeugt mich die Neuartigkeit seines Stil, den er während seiner Kampagne und nach der Wahl an den Tag gelegt hat. Zusammen mit seinen Wahlkampfmanagern und den Internetstrategen von Blue State Digital hat er den weltweit ersten “Wahlkampf 2.0” geführt. Ein Wahlkampf, der von der aktiven Partizipation seiner Anhänger lebt, von ihrer Kreativität, von ihren individuellen Aktionen. Waren früher die Informationsströme in Kampagnen Einbahnstraßen, so sind sie nun für beide Richtungen geöffnet, dank der intelligenten Nutzung des Internets und Portalen wie YouTube, Facebook oder MySpace. Und auch nach der Wahl geht dieser Trend weiter: Mit www.change.gov steht schon ein neues Portal in den Startlöchern, das den transparenten Weg seiner Kampagne auch im Weißen Haus weiterführen soll. Bleibt man bei der klassischen Kategorisierung der Präsidenten aus der politikwissenschaftlichen Literatur, so deutet alles darauf hin, dass Obama ein “aktiv-positiver” Präsident sein wird: Einerseits mit Eigeninitiative und Ideen, andererseits mit positiver Amtsauffassung und Außenwirkung. Nicht umsonst finden sich auch die Namen vieler beliebter Ex-Präsidenten wie Franklin Roosevelt oder John F. Kennedy in dieser Kategorie.


Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy

Hoffnung schaffen für mich auch die Namen, die für Obamas Kabinett kursieren: Neben dem Vizepräsidenten Joe Biden, der lange Jahre Vorsitzender des Senatskommittees für Außenpolitik war, finden sich auch republikanische Senatoren wie Chuck Hagel und Richard Lugar unter den wahrscheinlicheren Optionen für Ministerposten - Anzeichen dafür, dass Obama den Stil aus seiner Amtszeit als Senator weiterführt, in der er auch über Parteigrenzen hinweg Bündnisse für Gesetzesinitiativen gebildet hat. Besonders in Zeiten, wo verdunartige politische Grabenkämpfe aus Deutschland Spiegel Online dominieren und Politikverdrossenheit fördern, erfrischt dieser neuartige Ansatz und lässt Obamas Ankündigung, Präsident aller Amerikaner zu sein, glaubhafter klingen.



Schlussendlich muss jedoch zusätzlich zur Kritik an seinen Standpunkten auch die wichtigste Frage gestellt werden: Wieviel “Change” können wir uns eigentlich leisten? Auf beiden Seiten waren die Fernsehdebatten von Versprechungen geprägt: Steuererleichterungen, Krankenversicherungsboni, Reduktion der Collegegebühren, et cetera. Auch ohne ökonomisches Fachwissen muss jedoch klar sein, dass der Staat jeden ausgegebenen Dollar auch vorher einnehmen muss – und besser nicht durch chinesische Kredite, von denen gibt es bereits genug. Während zwei Kriege den Staatshaushalt weiter ins Defizit ziehen und die schlimmste Wirtschaftskrise seit knapp 80 Jahren immernoch nicht überwunden ist, sind solche Versprechungen schlichtweg Utopie – den Vorwurf der Planlosigkeit bei der Refinanzierung ihrer Ausgaben müssen sich beide Kandidaten gefallen lassen. Insofern wird Obama während seiner ersten Amtstage auf den harten Boden der finanziellen Realität zurueckgeholt werden, wenn sich viele seiner Pläne als schlichtweg nicht finanzierbar herausstellen werden. Somit erfordert die aktuelle Lage wohl eher einen ehrlichen Handwerker als einen visionären Künstler im Präsidentenamt – und der Slogan “Change we can believe in” muss umgedichtet werden in “Change we can afford”.

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